Astronomie, Geowissenschaften
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Expandierende Erde: große Zahlen und kleine Schwerkraft

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Franziska Konitzer
Autorin
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Karl Urban
Moderator

Im Jahr 1937 hatte Paul Dirac eigentlich so alles erreicht, was man als theoretischer Physiker erreichen konnte: Der Brite hatte die Quantenphysik mit begründet und sie mit Einsteins Spezieller Relativitätstheorie vereint. Fast aus Versehen hatte er erstmals eine neue Form von Materie beschrieben, die wir heute als Antimaterie kennen. Paul Dirac hatte nicht nur eine Professur an der angesehen Universität von Cambridge bekommen, sondern bekam auch im Alter von nur 31 Jahren den Nobelpreis für Physik zugesprochen. Doch nun wandte sich Dirac größeren Dingen zu: der Kosmologie.

Paul Dirac entwarf die „Large Numbers Hypothesis“, die Hypothese der großen Zahlen. Seine Vermutung besagte, dass das Verhältnis der Zahlenwerte von Naturkonstanten sich merkwürdigerweise immer wieder eine ziemlich große Zahl ergibt, nämlich zehn hoch 39. Was für die Meisten ein nicht besonders seltsamer Zufall sein mag, hatte für Dirac tiefere Bedeutung: Er schloss daraus, dass die Naturgesetze im Universum nicht immer und überall gleich waren – und dass die Naturkonstanten entgegen ihrem Namen nicht konstant, sondern variabel seien.

Dabei hatte es Dirac vor allem auf eine Naturkonstante abgesehen: die Gravitationskonstante. Diese sei vor Jahrmilliarden viel größer gewesen. Und das würde bedeuten: Was wir als Schwerkraft kennen, nimmt mit zunehmendem Alter des Universums ab.

Während Paul Diracs Ausflug in die Kosmologie – oder in die Zahlenmystik – von seinen Kolleginnen und Kollegen größtenteils ignoriert wurde, gab es einen deutschen Physiker, der die Hypothese der Großen Zahlen ernst nahm: Pascual Jordan beschäftigte sich vor allem damit, welche messbaren Auswirkungen so eine geringer werdende Schwerkraft auf unsere Erde haben könnte. Demnach sollte mit einer abnehmenden Gravitationskonstante unsere Erde selbst expandieren.

In dieser Folge des AstroGeo-Podcasts erzählt Franzi die Geschichte hinter der sogenannten Expansionstheorie – und damit ist nicht das Universum selbst gemeint!

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Quellen

Episodenbild: ChatGPT / F. Konitzer

4 Kommentare

  1. Martin Herse sagt

    Wieder mal eine tolle Folge, sehr interessant und auch witzig. Ich habe die Biographie „Der seltsamste Mensch“ von Graham Farmelo vor ein paar Jahren gelesen und kann es auch wirklich empfehlen.
    ´Das sorgfältig recherchierte Buch liefert alles, was eine perfekte Biografie ausmacht: Es schildert plastisch alle wichtigen Gegebenheiten, Umstände, Einfälle und Begegnungen im Leben des Paul Dirac. Zum Beispiel die verstaubte Atmosphäre im Cambridge der 1920er-Jahre, mit dem unaufgeräumten Cavendish-Labor, in dem Ernest Rutherford bahnbrechende Experimente macht, und mit dem aus Harvard kommenden Robert Oppenheimer, der nach seiner Ankunft in eine Depression verfällt, weil er seine amerikanischen Mitstudenten buchstäblich dahinwelken sieht „unter der Härte, der erlebten Missachtung, des Klimas und des Yorkshire Puddings.“´ (Zitat Deutschschlandfunk vom 18.12.2016)
    Vielen Dank mal wieder für diesen kurzweiligen und informativen Beitrag

  2. Torsten sagt

    Danke!! Es war wieder eine interessante und spannend erzählte Folge. Ich mag euren Dialog und dazu gehören für mich auch die kleinen spontanen Momente, die in einem Gespräch entstehen wenn man sich gut versteht und begeistert bei der Sache ist.

    Am Ende – da wo Franzi sich fast schon entschuldigt hatte, im anderen Fachgebiet zu wildern – da ist mir aufgefallen: Astronomie und Geologie haben eigentlich erstaunlich viel gemeinsam. Beide Disziplinen sind darauf angewiesen, ihre Forschungsobjekte aus der Distanz zu betrachten, die Astronomie über Signale aus dem fernen All, die Geologie über Spuren aus der tiefen Vergangenheit der Erde. Sie können fast nie direkt eingreifen, sondern müssen aus dem, was übrig ist, ein Bild rekonstruieren. Das war mir tatsächlich noch nie so bewusst.

  3. Jott sagt

    Moin, würd mich freuen, wenn das hier ne Ausnahme bleibt und ihr nicht auch noch auf den AI-Rotz-Zug aufspringt für die Eposidenbilder. Va für nen Wissenschaftspodcast tut das finde ich überhaupt nicht Not, ich mag eure richtigen Episodenbilder immer sehr und warum AiGen böse ist (Copyright, Kapitalismus, Energie etc) wisst ihr ja sicher eigentlich selbst. Als Künstler und damit selbst betroffen hat das immer nen extrem faden Beigeschmack.

    Ansonsten weiter so mit dem Podcast, ich freu mich immer sehr über neue Episoden ob Geplänkel oder nicht!

  4. Ich habe Paul Dirac in den 80er Jahren noch auf der Lindauer Nobelpreisträgertagung erlebt. Das dürfte wenige Jahre vor seinem Tod gewesen sein, aber sein Vortrag war klar und was er zu den Problemen der Quantenelektrodynamik mit Unendlichkeiten sagte, klang auch sehr vernünftig. Er war der Ansicht, dass die Renormierungstheorie, mit der diese Unendlichkeiten (die sich aus der Störungstheorie etwa für Masse und Ladung des Elektrons ergeben) gegenwärtig eliminiert werden, vermutlich in Zukunft durch etwas Besseres ersetzt würden, was die Unendlichkeiten von vorneherein vermeidet. Wesentliche Grundgleichungen wie etwa die heisenbergsche Bewegungsgleichung würden aber auch in einer künftigen Theorie erhalten bleiben.

    Seine Hypothese der großen Zahlen ist auch nicht wesentlich anders entstanden als viele andere wissenschaftliche Ideen: man macht eine Beobachtung, die erklärungsbedürftig erscheint und konstruiert dann eine mehr oder weniger plausible Erklärung, die überprüfbar sein muss, d.h., sie sollte empirisch falsifizierbar sein und wenn das dazu konzipierte Experiment sie nicht falsifiziert, dann stützt sie das.

    Dirac war nicht der erste, der über große Zahlenverhältnisse nachdachte, vor ihm hatten das schon Weyl und Eddington getan. Wenn man die Ruhmassenenergie eines Elektrons als durch die elektrostatische Energie einer homogenen geladenen Kugel verursacht ansieht, kann man den Radius dieser Kugel berechnen, das ist der sogenannte klassiche Elektronenradius. Stellt man sich stattdessen diese Energie durch Gravitation verursacht vor, erhält man einen gravitativen Selbstenergie-Radius des Elektrons, der hat eine Größe, die etwa dem Radius des beobachteten Universums entspricht. Das Verhältnis der Radien ist ungefähr 4*10^42 (Weyl). Eddington schätzte die Zahl der geladenen Teilchen im Universum auf rund (4*10^42)^2, die große Zahl 10^42 tritt wieder auf. Man mag nun angesichts der Tatsache, dass verschiedene dieser großen Zahlen ja gar nicht *genau* gleich sind — in der Sendung wurden Zahlen um 10^38 genannt, und das ist immerhin nur ein Zehntausendst von 10^42, mit den Schultern zucken, sagen, das ist Zufall und zur Tagesordnung übergehen. Dirac war eben anderer Ansicht. Philosophen und Naturwissenschaftler sind nun mal Menschen, die sich über Koinzidenzen wundern, die anderen nicht bemerkenswert oder selbstverständlich erscheinen.

    Dass eine mit der Größe des Universums und damit mit der Zeit variierende Gravitationskonstante dann von den meisten Wissenschaftlern verworfen wurde, das liegt wohl daran, dass sie schwer mit der Allgemeinen Relativitätstheorie vereinbar ist, zum einen, weil sie der Zeit eine Sonderrolle gab, die sie in der Theorie nicht hat, wo sie ja nur Teil der Raumzeit ist und es lokale Symmetrien zwischen räumlichen Dimensionen und der Zeit gibt, zum anderen, weil die aktuellen kosmologischen Modelle ja mit einer echt konstanten Gravitationskopplung zu korrekten Vorhersagen führen. Würde die Gravitationskonstante über alle Grenzen steigen, je näher man dem Urknall kommt, dann hätte das Universum nicht weit expandieren können, sondern wäre unter der anfänglich riesigen Gravitation sofort wieder kollabiert. Nichtsdestrotz hat es seit Diracs Hypothese immer wieder Versuche gegeben, experimentelle Grenzen für die Variation der Gravitationskonstante mit der Zeit zu bestimmen, sie wurde also durchaus ernst genommen [J. P.Uzan (2003). „The fundamental constants and their variation, Observational status and theoretical motivations“. Reviews of Modern Physics. 75 (2): 403. arXiv:hep-ph/0205340]

    Anmerken wollte ich noch, dass die Gravitationskonstante G nicht die Stärke des Gravitationsfelds oder der Raumzeitkrümmung misst (klang im Podcast so). Das sind beides variable Größen, die Gravitationskonstante ist aber sowohl in der newtonschen als auch in der einsteinschen Gravitationstheorie eine Konstante. In der newtonschen Gravitationstheorie ist G für eine Punktmasse der Proportionalitätsfaktor zwischen der von ihr verursachten Gravitationsbeschleunigung und ihrer Masse dividiert durch das Abstandsquadrat. Wissenschaftlich sauberer ist der Rückgriff auf die differentielle Form des newtonschen Gravitationsgesetzes, da ist G einfach der Proportionalitätsfaktor zwischen der Divergenz des Gravitationsfeldes und der (mit 4π multiplizierten) Massendichte. In der Einsteingleichung ist G, mit inversen Potenzen der Lichtgeschwindigkeit (und 8π) multipliziert, der Proportionalitätsfaktor zwischen dem aus dem Krümmungstensor der Raumzeit gebildeten Einsteintensor und der Energie-Impuls-Dichte. Die Bedeutung als Proportionalitätsfaktor zwischen einer Ableitung der Feldstärke und der sie erzeugenden Energiedichte ist also in beiden Theorien die gleiche.

    Für diejenigen mit ein bisschen Physikhintergrund gibt es eine einfache Idee, mit der man sich merken kann, warum das Gravitationsfeld einer kugelsymmetrischen Massenverteilung wie auch das elektrostatische Feld einer ebensolchen Ladungsverteilung mit dem inversen Quadrat des Abstands abfällt und nicht mit einer anderen Potenz (im Podcast entstand kurz Verwirrung, ob das nicht mit r^3 ginge). Die Quellen des Feldes sind Massendichten (bzw. Ladungsdichten). Ist um eine Massenverteilung herum Vakuum, so befinden sich in diesem keine Quellen. Legt man nun eine große Kugel um die Massenverteilung und integriert die Feldstärke auf der Kugeloberfläche auf, so gibt das immer ein bestimmtes Vielfaches der innerhalb befindlichen gesamten Masse. Nehme ich zwei konzentrische Kugeln verschiedener Größe, zwischen deren Oberflächen sich keine Quellen befinden, ist das Integral auf beiden dasselbe. Da die Kugeloberfläche proportional zum Quedrat des Radius ist, muss die Feldstärke auf ihr, damit das Integral nicht vom Radius abhängt, umgekehrt proportional zum Quadrat des Radius sein.

    Im Podcast wurde mit der Vorstellung geliebäugelt, dass andere wissenschaftliche Theorien als Diracs Hypothese der großen Zahlen (die es ja nie bis zum Status einer Theorie gebracht hat), sich auf solidere Beobachtungen stützen, mit Ausnahme der Quantenmechanik. Die sei auch so ins Blaue hinein erfunden worden (meine Formulierung), per Philosophie und ohne empirische Grundlagen, und dann hätte man geschaut, wo man sie anwenden kann. Dem ist natürlich mitnichten so.

    Die Quantenmechanik entstand als Folge des Versuchs, ein echtes Problem zu lösen, mit dem die damalige Physik konfrontiert war. Das waren die Atomspektren mit diskreten Linien. Die Zahl der experimentellen Beobachtungen nahm zu und man hatte keine gute Erklärung dafür, dass Atome im optischen Bereich bei diskreten Frequenzen Licht aussenden und nicht kontinuierliche Frequenzverteilungen.

    Eines der frühesten Atommodelle, das thomsonsche Rosinenkuchenmodell, in dem die Elektronen punktförmige Teilchen sind, die in einer kontinuierlichen positiven Ladungsverteilung schwingen, konnte zwar diskrete Frequenzen erklären, denn solche Elektronen schwingen wie harmonische Oszillatoren, die ja auch eine feste Frequenz haben. Aber da hätte jedes Atom im Wesentlichen mit einer Frequenz und deren Harmonischen emittieren müssen, was quantitativ nicht stimmte.

    Außerdem zeigten Streuexperimente von Rutherford, dass die positive Ladung im Atom nicht kontinuierlich über dessen ganze Größe verteilt sondern praktisch punktförmig im Zentrum konzentriert ist. Das führte dann zum rutherfordschen Atommodell mit Elektronen, die um den Kern kreisen. Aber kreisende Elektronen sind (wie auch schwingende Elektronen) beschleunigte Ladungen und die Elektrodynamik sagt nun mal vorher, dass beschleunigte Ladungen elektromagnetische Energie abstrahlen. Im thomsonschen Atommodell führt das nur zur Abnahme der Schwingungsamplitude ohne Änderung der Frequenz; im rutherfordschen Modell spiralen die Elektronen in den Kern und die Abstrahlfrequenz verändert sich dabei kontinuierlich. Insbesondere ist damit das Atom auch instabil (das In-den-Kern-fallen der Elektronen dauert ca. eine hundertmillionstel Sekunde). Diese Diskrepanzen im Verständnis der Atome wurden mit der Entwicklung der Quantenmechanik behoben, die damit eine durchaus gut motivierte Theorie ist. Es gab ein Problem, dessen Lösung ihre Entwicklung erforderte. (Bei Diracs großen Zahlen würden die meisten Leute kein echtes Problem sehen…)

    Schließlich möchte ich noch ein wenig über Pascual Jordan plaudern, über den ich im Podcast etwas Neues erfuhr, das mit meiner bisherigen Vorstellung von ihm nicht gut zusammenpasst. Er war mir natürlich bekannt, einmal als einer der drei Begründer der ersten modernen Form der Quantenmechanik (die „heisenbergsche“ Matrizenmechanik), zum anderen als Autor des Buches „Der Naturwissenschaftler vor der religiösen Frage“ (1963), in dem er eine philosophische Haltung einnimmt, die mir wenig mit seiner NS-Vergangenheit zusammenzupassen scheint, von der ich nichts wusste. Darauf komme ich noch mal zurück.

    Physikstudenten, die ein Semester Quantenmechanik gehört haben, sollte Jordans Name von der jordanschen Regel bekannt sein, die angibt, wie von klassischen Orts- und Impulsvariablen zu quantenmechanischen Operatoren überzugehen ist (insbesondere, dass der kinetische Impuls p durch (ℏ/i)∇ zu ersetzen ist). Allerdings wird vielleicht nicht jeder Dozent diese Regel mit Namen angeben.

    Jordan war wohl von den drei erwähnten modernen Quantenmechanikern derjenige, der mathematisch am rigorosesten dachte. Und er war religiös. Sein an ein breites Publikum gerichtetes Buch vertritt die Auffassung, dass die moderne Naturwissenschaft in keiner Weise als auf Empirie beruhende Verdrängung Gottes aus der Welt begriffen werden kann. Eine Diskussion zwischen ihm und Richard Dawkins, der sich über religiöse Menschen lustig macht, weil er denkt, dass die Wissenschaft die Nichtexistenz Gottes belegt, wäre sicher interessant.

    In den großen monotheistischen Religionen tritt Gott ja in zwei Aspekten auf, als Schöpfergott und als Erlöser (d.i. jemand, der aufzeigt, was ein Leben gut macht und wie man von den damit verbundenen Leiden erlöst, für die Strapazen belohnt wird). In der ersten Funktion wurde Gott von der Wissenschaft immer weiter zurückgedrängt, die Phänomene der Welt und ihre Entstehung wurden von der Wissenschaft immer besser erklärt. Man braucht keinen Gott dafür. Wobei Verteidiger der Religion zu Recht darauf verweisen, dass der Anfang selbst, also warum etwas ist und nicht nichts, nicht durch die Wissenschaft erklärt wird.

    Dawkins und z.B. Lawrence Strauss würden darauf verweisen, dass die Entstehung des Universums aus dem Nichts durch eine Vakuumfluktuation durchaus eine Erklärung darstellt. Hawking würde anmerken, dass seine „no-boundary“-Theorie des Urknalls (wo die Zeit imaginär wird und dadurch der Anfang per analytische Fortsetzung in der Theorie enthalten ist, die Singularität muss dabei irgendwie verschwinden), die er überdies ironischerweise erstmals auf einer Konferenz im Vatikanstaat vortrug, Gott ebenfalls überflüssig macht.

    Nur ist das physikalische Vakuum mit seinen immer vorhandenen Quantenfeldern eben längst nicht mehr nichts im philosophischen Sinn. Die Felder sind ja durchaus etwas. Und Hawkings Theorie „erklärt“ die Dinge eben nur für extrem wenige Menschen, die die Mathematik verstehen… Und warum es die Raumzeit als außerzeitliches Blockuniversum gibt, das erklärt auch sie nicht.

    Als Hauptgrund, warum Wissenschaft einen Schöpfergott unwahrscheinlich macht, würde ich eher sehen, dass sie auch erklärt (aber weniger die Physik und mehr die Psychologie), wie Menschen dazu kamen an Gott zu glauben, ohne dass man dazu dessen Existenz voraussetzen muss. Zum Ende dieser Abschweifung möchte ich noch darauf hinweisen, dass der berühmte Mathematiker Gödel einen Gottesbeweis veröffentlicht hat, der inzwischen mit Computern überprüft wurde (es gibt entsprechende Analysesysteme) und logisch richtig ist. Die Existenz Gottes ist damit natürlich nur bewiesen, wenn die Prämissen des Satzes stimmen…

    Zurück zu Pascual Jordan. Er war also religiös und hat dies mit messerscharfem Verstand auch verteidigt. Deshalb dachte ich auch immer, dass seine moralischen Vorstellungen auf hohem Niveau waren. Damit scheint nicht zusammenzupassen, dass er in die NSDAP und sogar die SA eintrat. Hingegen passt wieder, dass er kein Antisemit war. Bis zu einem gewissen Grad wäre die NSDAP-Mitgliedschaft erklärlich, wenn er ähnlich wie Hans und Sophie Scholl anfangs den aufkommenden Nationalsozialismus als eine positive Bewegung gesehen hätte. Hans und Sophie Scholl haben ihren Irrtum schnell erkannt (bevor die Frage einer Parteimitgliedschaft sich stellte), leisteten Widerstand und wurden schließlich von den Nazis ermordet. Jordan kam durch den Krieg, ohne sich offiziell von den Nazis zu distanzieren. Allerdings wurde ihm von diesen misstraut. Rechte und rechtsextreme Ansichten hatte er wohl schon vor der Machtergreifung der Nazis (entnehme ich Wikipedia).

    Hier ein Abschnitt aus dem Wikipedia-Artikel zu Jordan: „Nancy Greenspan schreibt in ihrer Biographie von Max Born,[9] Jordan sei einer der wenigen Besucher James Francks und Max Borns nach Francks ostentativem Rücktritt anlässlich der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 gewesen. Er war über dessen Behandlung und die drohende Entlassung Borns sehr aufgebracht und äußerte diesem gegenüber, er selbst hätte dies vielleicht verhindern können, wenn er Mitglied der NSDAP gewesen wäre. Wenige Tage später trat er in die NSDAP ein.“

    Klingt wie eine Entschuldigung oder entschuldigende Begründung. Kommt mir aber zweifelhaft vor. Und warum hätte er dann später noch in die SA eintreten sollen? Es wäre sicher interessant gewesen, ihn zu fragen, wie er seine religiösen Vorstellungen (die er ja vermutlich nicht erst nach dem Krieg entwickelt hat) mit seinen rechtsextremen Ansichten zusammenbringt. (Natürlich gab es viele nominelle Christen bei den Nazis, aber wohl wenige, denen der Glauben so viel bedeutete.) Für mich fügt das dem Bild dieses Mannes eine neue Facette hinzu, macht ihn aber nicht unbedingt verständlicher.

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