Im Jahr 1914 wird in Dalj im Osten des heutigen Kroatiens ein Mann verhaftet. Er hatte in einem früheren Krieg als Soldat für das serbische Militär gekämpft und die Streitkräfte Österreich-Ungarns wollen ihn nun daran hindern, im kurz zuvor ausgebrochenen Weltkrieg zu kämpfen. Doch das hatte er ohnehin nicht vor: In seinem erzwungenen Exil in Budapest wird er in den kommenden vier Jahren fernab des Kriegsgeschehens eine Theorie ausarbeiten, die erstmals die Sphären des Himmels mit dem Klima der Erde verbinden wird. Er wird drei Phänomene entschlüsseln, die wir heute als Milanković-Zyklen kennen, benannt nach dem serbischen Mathematiker Milutin Milanković.
Karl erzählt in dieser Podcastfolge, welches Problem Milanković zu lösen versuchte: Schon ein Jahrhundert zuvor hatten Geologen erkannt, dass das Klima der Welt nicht immer so gewesen war wie in der Gegenwart. Im Jahr 1837 gab der Schweizer Naturforscher Louis Agassiz deshalb bekannt, dass in grauer Vorzeit eine Eiszeit geherrscht haben müsse. Riesige Gletschermassen hätten sich nicht nur über den gesamten Alpenraum ausgebreitet, sondern auch weite Teile Europas bedeckt.
In den folgenden Jahrzehnten erhärtete sich die Hypothese von Agassiz. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden heraus, dass es sogar mehrere Eiszeiten gegeben haben musste, die von Zeiten wärmeren Klimas unterbrochen waren, die unserer heutigen Welt glichen. Doch warum dieser Wechsel von Kalt- und Warmzeiten überhaupt stattfand, dafür gab es viele Hypothesen und nur wenig Konsens. Das Eiszeit-Problem war jahrzehntelang in der Welt, ohne dass die Wissenschaft einer Lösung näherkam.
Von Anfang an waren Unregelmäßigkeiten der Erdbahn und andere astronomische Ursachen im Gespräch, aber bei den meisten Geologen nicht hoch im Kurs. Zu fern schien der Lauf der Planeten, zu unwahrscheinlich, dass sie die Kraft der Sonnenstrahlung und damit das Klima ausreichend stark verändern würden. Erst Milutin Milanković änderte diese Sichtweise: Er nutzte genauere astronomische Daten und die bekannten physikalische Gesetze seiner Zeit, um zu berechnen, wie die Sonne auf das Klima der Erde auf unterschiedlichen Breitengraden wirkt. Hatte dieser serbische Mathematiker endlich das Eiszeit-Problem gelöst?
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- Folge 54: Als die Erde zu Eis erstarrte
- Folge 86: Das Ende der Dinosaurier: Massensterben im Frühling
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Quellen
- Fachbuch: John Imbrie & Katherine Palmer Imbrie: Ice Ages, Solving the Mystery, Harvard University Press (1979)
- Tagungsband: Berger et al.: NATO Advanced Research Workshop on Milankovitch and Climate (1984)
Episodenbild: Gletscher Svínafellsjökull, Island; Foto: Karl Urban
Ich hatte schon länger geplant, heute zur (Geschwister-Herschel 😉 ) Volkssternwarte hier in Hannover zum Vortrag zu gehen, laut Ankündigung geht es ausgerechnet heute u.a. dort um – die Arbeiten von Milanković. Zufall??? Cui Bono??11! AstroGeo scheint überall die Finger im Spiel zu haben!
Bin jetzt gut gerüstet um nachher gaaaaanz super schlaue Bemerkungen zu machen 🙂
Die Wikipedia-Seite zu den Milankovic-Zyklen ist zu empfehlen. Dort wird auch ein bisschen zur Qualität der Theorie gesagt (wie gut sind ihre Vorhersagen?), die von Karl ja kaum erläutert wurde. Nur Franzi hat mal was gesagt, was darauf hinauslief, dass sie davon ausgeht, dass die Theorie Vorhersagekraft hat und als richtig gilt. Ein gewisses Urteil kann man sich anhand des ersten Bilds im Wikipedia-Artikel bilden. Man erkennt, dass offenbar die Zeitskalen der Oszillationen (aus der Überlagerung von drei Effekten) ganz gut mit den Zeitskalen der Temperaturschwankungen übereinstimmen. Die Details passen nicht immer, d.h. es gibt Minima in der globalen Temperatur (also Eiszeiten), wo das Milankovic-Signal nahe seinem Mittelwert ist und Extrema im Milankovic-Signal, die nicht mit einem Temperaturmaximum oder -minimum zusammenfallen. Aber eine so gute Übereinstimmung ist gar nicht zu erwarten. Milankovic hat einen astronomischen Effekt nicht berücksichtigt, nämlich die Variation der Bahnebene der Erde im Verhältnis zur Ekliptik (also der mittleren Bahnebene aller Planeten, bestimmt im Wesentlichen durch Jupiter und Saturn) und diverse lokale Effekte wie etwa die Rückkopplung mit der Atmosphärenchemie. Und während seine Theorie quantitativ gültige Aussagen zur globalen Temperatur machen kann, ist sie nicht besonders gut hinsichtlich der Beschreibung des Voranschreitens oder Rückschmelzens von Gletschern.
Ah, da fällt mir noch was zu den Findlingen ein. Die Zurückweisung der Sintflut-Idee auf der Grundlage der Vorstellung, dass Steine nicht im Wasser schwimmen, scheint mir etwas leichtsinnig. Wir haben doch vor nicht allzu langer Zeit erlebt, dass eine Flut Häuser einstürzen lassen und Garagen wegschwemmen kann… Natürlich würde ein Findling nicht schwimmen müssen, um von einer genügend starken Flut bewegt zu werden. Die braucht ihn nur mit der rohen Kraft ihres Drucks wegzurollen oder mitzureißen. Man würde nach so einem Ereignis allerdings wohl keine kontinuierlichen Kratzspuren auf dem Boden sehen, denn der wäre ja auch zu einem großen Teil mitgespült worden. Der Boden wäre also wassergeglättet… Insofern ist die Fluterklärung nicht leicht zu verteidigen. Aber es liegt sicher nicht an der mangelnden Kraftausübung durch das Wasser.
Die Erde ist wie ein Kreisel? Die Erde *ist* ein Kreisel im physikalischen Sinn, wenn auch kein perfekter symmetrischer Kreisel. Die Präzession ist im Prinzip einfach zu erklären. Wäre die Erde eine exakt kugelsymmetrische Massenverteilung, so könnte die Anziehungskraft der Sonne kein Drehmoment auf sie ausüben, würde effektiv nur im Massenmittelpunkt angreifen. Die Erde hat aber nun mal einen Äquatorwulst, an dem die Sonne ziehen kann und zwar stärker an seinem sonnenahen als an seinem sonnenfernen Teil. Das heißt, wir haben einen Kreisel, dessen Drehachse senkrecht zum äußeren Kräftepaar (nämlich in Richtung des Drehmoments) ausweicht. Ob das rechts- oder linksdrehend ist, kann ich so auch nicht sagen, aber wie man es herausbekommt, ist klar: es gilt die rechte-Hand-Regel. Also: Daumen vom Erdmittelpunkt in Richtung sonnennächster Äquatorpunkt, Zeigefinger in Richtung Sonne, Mittelfinger senkrecht zu den beiden anderen abspreizen. Das ist dann die Richtung, in die die Drehachse kippt (natürlich nur langsam! sie würde aufgrund dieses Effekts einmal in 26000 Jahren einen Vollkegel beschreiben). Nun zerrt aber nicht nur die Sonne sondern auch der Mond am Wulst, so dass wir keine schön periodische Präzession kriegen sondern eine quasiperiodische Bewegung. Es kommt dann noch die Apsidenpräzession dazu, weil die Erdbahn keine exakte Ellipse ist, sondern aufgrund der Periheldrehung eine Rosettenbahn. (Die Periheldrehung ist zum größten Teil durch Störungen von den anderen Planeten verursacht, hauptsächlich wohl dem Jupiter. Ein sehr kleiner allgemein relativistischer Effekt ist auch enthalten. Weit weniger als beim Merkur.)
Wenn Milankovic sagt, dass seine Theorie erst in so und so vielen Jahren beurteilt werden kann, dann hat das meines Erachtens weniger mit Bescheidenheit zu tun als mit sachlicher Klarheit. So superbescheiden war er wohl nicht, wenn er (durchaus suboptimal kompetente) Kritiker als Idioten ansah. Das klingt eher überheblich. Es mag sein, dass heutige Wissenschaftler allgemein mehr Lärm um weniger gesicherte Resultate machen als die zu seiner Zeit. Heute sucht man die Öffentlichkeit einerseits, weil Wissenschaftler ihr gegenüber rechenschaftspflichtig sind, andererseits, weil hohe Öffentlichkeitswirksamkeit mehr öffentliche Gelder für die Forschung bedeuten kann.
Was das Aufsuchen einer Bibliothek und den Zugang zu Forschungsresultaten angeht, so wäre das heute prinzipiell nicht anders als damals, solange es um publizierte Forschung geht, die nicht in Zusammenarbeit mit der Industrie entstand und deshalb gewissen Einschränkungen in der Freigabe unterliegt. Wenn ich einen wissenschaftlichen Gast für mehrere Monate in meiner Abteilung habe, dann kann der natürlich einen Bibliotheksausweis bekommen. Einen Gastgeber wird Milankovic auch gehabt haben… Die Forschung von an der Universität angestellten Wissenschaftlern wird aus Steuergeldern finanziert, sie ist also auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dass wissenschaftliche Fachartikel dann hinter einer Paywall verschwinden, also für ihre Lektüre die Zeitschrift abonniert oder der Einzelartikel bezahlt werden muss, ist ein Unding. Die Arbeit ist bereits mit öffentlichen Geldern bezahlt, also sollte sie auch frei zugänglich sein. (Ist sie an der Bibliothek auch, aber eben nur für abonnierte Zeitschriften.) Durch die Einführung von open access ist das Problem ein bisschen abgemildert worden, allerdings ist die Notwendigkeit der Bezahlung durch den Autor bzw. seine Institution u.U. eine Hürde für die Veröffentlichung. (Das Geld muss erstmal da sein.) Und open access hat zum Phänomen der predatory journals geführt. In denen kann man jeden Mist veröffentlichen, ohne Kontrolle durch Fachkollegen, wenn man nur bezahlt. (Erkennen kann diese journals manchmal an den erstaunlich niedrigen Preisen. Da sie nichts ablehnen, können sie sich diese leisten. Das Ergebnis sind fake news im Wissenschaftsbereich, leider.)
Kleines Nitpicking: Den Namen von Louis Agassiz spricht man ohne „s“ am Ende, also so wie „Agassieh“.
Leider war dieser Herr auch ein Vertreter des pseudowissenschaftlich verbrämten Rassismus seiner Zeit, was in der heutigen Schweiz zu einigen Kontroversen über nach ihm benannte Straßen und Plätze (und einen Berggipfel) geführt hat.
Das ist wichtig, danke. Werde ich in der nächsten Feedbackfolge ansprechen.
Noch ein Kommentar, den ich eben vergessen hatte: Dass ein Ingenieur zum theoretischen Physiker mit hoher mathematischer Kompetenz wird, ist weniger verwunderlich als es scheint. Das hat mit der Ausbildung in Mechanik zu tun, auf die Karl auch abgehoben hat.
Ich bin Physiker. In der Grundvorlesung zur Mechanik ist bei der newtonschen Mechanik typischerweise mit dem starren Körper Schluss. Es kommt dann noch etwas Relativitätstheorie und vielleicht ein bisschen zur modernen Theorie nichtlinearer Systeme („Chaostheorie“). Die Mechanik deformierbarer Systeme (Elastizitätstheorie) lernt man noch in der Experimentalphysik kennen, eine Theorievorlesung dazu gibt es höchstens als Wahl(pflicht)fach. Immerhin müssen Physiker ja auch noch Elektrodynamik, Quantenmechanik, statistische Physik und Thermodynamik sowie fortgeschrittene Quantenmechanik kennenlernen (und das typischerweise in Theoriepflichtvorlesungen). Bei den Ingenieuren fehlen einige dieser Fächer, dafür ist die Mechanikvorlesung umfangreicher, es wird mehr Wert auf Kontinuumsmechanik gelegt. Die lernen dann in der Pflichtvorlesung lineare und nichtlineare Elastizitätstheorie (vielleicht auch Theorien plastischer Verformungen); letzteres ist mathematisch sehr anspruchsvoll. Tatsächlich beinhaltet die (nichtlineare) Elastizitätstheorie fortgeschrittenen Tensorkalkül und damit hat ein Ingenieur die Voraussetzungen, eine Theorie wie die allgemeine Relativitätstheorie mathematisch ohne größere Schwierigkeiten aufzufassen. An der Mathematik liegt es also eher nicht, wenn ein Ingenieur den Sprung zum theoretischen Physiker nicht schafft!
Hallo, hab seit paar Tagen mal angefangen euren Podcast zu hören. Die Themen sind interessant, ihr seid positive gutmütige Menschen, da hört man gerne zu. Ihr dürft euch auch gern ständig gegenseitig unterbrechen, aber ihr solltet euch weniger selbst hinterfragen, Selbstkritik braucht ihr nicht ständig zu äußern, das ist meist überhaupt nicht angebracht. Aber ich hab Kritik, ich bin ein „ungebildeter“ Mensch, hab nur Bachelor BWL und es gab bisher in den aktuellen Folgen nicht einmal den Moment gehabt, wo ich dachte, meine Güte ist das kompliziert, nein ich hab den Eindruck ihr haltet das Niveau sehr niedrig. Bei dieser Folge zu den Milankovic-Zyklen hatte ich den Eindruck, mein achtjähriger wäre mitgekommen. Also ich will jetzt keine langweiligen Teilchentheorien hören, aber geht in die Details, redet schnell, beschreibt komplexe Dinge ohne schlechtes Gewissen, haut die wissenschaftlichen Begriffe raus (natürlich gerne mit kurzer Übersetzung). Also ich ermutige euch, dass ihr ruhig euer Publikum fordern könnt.