AstroGeoplänkel
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AstroGeoPlänkel: Unendlich viele Affen tippen Shakespeare

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Franziska Konitzer
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Karl Urban

Im AstroGeo-Podcast erzählen Karl Urban und Franzi Konitzer abwechselnd eine Geschichte, die ihnen die Steine des kosmischen Vorgartens eingeflüstert oder die sie in den Tiefen und Untiefen des Universums aufgestöbert haben. 

In dieser Episode geht es um euer Feedback zu den Geschichten: Das AstroGeoPlänkel ist eine regelmäßige Sonderfolge, in der es um eure Fragen, Kommentare, Anmerkungen und Wünsche geht.

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Episodenbild: Keith Williamson (flickr.com), CC BY 2.0 DEED; CC-BY 4.0 Joschua Knüpper

17 Kommentare

  1. Marcus Munzlinger sagt

    Moin! Sorry nochmal- ich hab das Doppelspalt-Experiment bislang so verstanden: Ohne Messung beschreiben die Photonen, wenn sie auf eine Leinwand hinter dem Doppelspalt treffen, eine Welle. Sobald man misst, beschreiben sie definierte Punkte. Somit ist Licht eben eine Welle, es sei denn, man misst die Photonen- dann ist Licht plötzlich „ein“ Teilchen (meine erste Berührung mit Quantenphysikwar eine Arte-Dokumentation, in der das mit einer Computersimulation so dargestellt wurde). Und darauf bezog sich meine Frage zur Vielen-Welten-Interpretation: Warum wird dann bei Messung eben IMMER beobachtet, dass sich keine Welle auf der Leinwand abbildet, sondern ein Feld von Punkten? Dann müsste es ja innerhalb der vielen Welten eine Pfadabhängigkeit geben, warum eine 50:50 Wahrscheinlichkeit sich immer nur in die eine Möglichkeit auflöst. Sorry dass ich das missverständlich ausgedrückt habe. Die Frage für mich nicht ganz trivial, wenn ihr zugrunde liegen sollte, dass ich das Doppelspalt-Experiment falsch verstehe (das ist mir nämlich eigentlich viel eingängiger als diese blöde Chose mit der Katze). Liebe Grüße!

    • Die Idee, dass Licht „eben eine Welle“ ist, ist falsch. Licht verhält sich in manchen Experimenten wie eine Welle (z.B. beim Durchgang durch einen Doppelspalt ohne Messung der Photonen oder in einem Laser hoher Intensität), in anderen (z.B. bei der Absorption in einer Photoplatte/auf einem Schirm oder beim Compton-Effekt) wie ein Teilchen. Elektronen, die vor der Zeit der Quantenmechanik als reine Teilchen gesehen wurden, tun das Gleiche! (In einer der Feynman lectures wird das besonders betont.)
      Ein häufiger Irrtum von Novizen auf dem Feld der Quantentheorie ist die Idee, dass die Welle durch die Schrödingergleichung beschrieben wird. Für ein einzelnes Elektron ist das ein akzeptables gedankliches Bild (für ein Photon schon nicht mehr, weil das relativistisch ist und die Schrödingergleichung eine nichtrelativistische Gleichung, mit einer Masse in einem Nenner — die wäre beim Photon null), für ein System aus mehr als einem Teilchen nicht. Die N-Teilchen-Schrödingergleichung beschreibt eine Welle im 3N-dimensionalen Konfigurationsraum, und das kann ja wohl nicht die Welle sein, die mit dem Welle-Teilchen-Dualismus gemeint ist und sich in unserem gewöhnlichen dreidimensionalen Raum bewegen müsste!
      Auch der Begriff des Welle-Teilchen-Dualismus ist nicht ganz treffend, denn es gibt durchaus Experimente, die man so beschreiben könnte, dass ein Quantenteilchen sich zu 30% wie ein Teilchen und zu 70% wie eine Welle verhält. Einen besseren Namen müsste man aber erstmal finden.
      Ich denke, die beste Charakterisierung ist, dass Quantenobjekte weder Welle noch Teilchen sind, sondern sich je nach Experiment als Welle oder Teilchen (oder eine statistische Mischung von beiden) manifestieren. Was sie genau sind, sich das vorzustellen, ist für unser durch Evolution in der Makrowelt geschultes Gehiern zu schwierig. Aber wir können immerhin mit Hilfe der Mathematik genaue Vorhersagen über sie treffen…

  2. Marcus Munzlinger sagt

    Verdammt! Ich glaub ich hab es durchs selber hinschreiben gecheckt, sorry, bin kein sehr schneller Denker :-@ Die beschriebene Welle auf der Leinwand ist Auadruck dessen, dass die Photonen sowohl durch den rechten wie den linken Spalt flitzen! Sobald man misst, „entscheiden“ sie sich für eine Seite, weshalb darauf hin ein Feld mit gehäufte Treffern statt einer Wellenverteilung angezeigt wird. Dass die Frage „Welle oder Teilchen“ integral zusammen hängt mit der Frage „Durch einen der beiden Spalte oder durch beide“ hatte ich nicht verstanden. Hab ich es denn jetzt richtig verstanden? Sorry fürs Zuspamen 🙁

    • Franziska Konitzer sagt

      Hallo lieber Marcus,

      kein Problem fürs Zuspammen! Und dann hat es doch seinen Zweck erfüllt, wenn du es selbst durchs Aufschreiben verstanden hast – denn du liegst da richtig: Die Leinwand zeigt dir, ob das Licht als „Welle“ oder als „Teilchen“ durch den Doppelspalt gereist ist. Das ist vor allem dann ersichtlich, wenn man das Doppelspalt-Experiment mit nur jeweils einem Photon durchführt, also zum Beispiel nur einmal in der Minute ein Photon durchschickt. Auch dann baut sich auf der Leinwand ein Wellenmuster auf – d.h. dass das Photon mit sich selbst interferiert, weil es durch die beiden Spalte gleichzeitig reist.

      x.

    • „sowohl durch den rechten wie den linken Spalt flitzen“ – Das ist übrigens auch Interpretationssache. In der bohmschen Version der Quantenmechanik interpretiert man Quantensysteme nicht als Teilchen oder Wellen sondern als Teilchen und Wellen. Da geht ein Photon/Elektron/Neutron (mit allen kann man das Doppelspalt-Experiment machen) immer durch genau einen Spalt. Aber seine Trajektorie ist nicht geradlinig, denn außer dem Teilchen ist da noch die Welle, die durch beide Spalte geht und das Teilchen führt. Wo es dann auf dem Schirm ankommt, ist also durch die Welle bestimmt und deshalb gibt es ein Interferenzmuster. Misst man beim Durchgang durch den Spalt den Ort des Quantenteilchens, dann modifiziert man auch die Welle und zwar so, dass das Interferenzmuster zerstört wird und die Verteilungsfunktion auf dem Schirm gerade die Summe der Verteilungsfunktionen zweier Einzelspaltexperimente wird.

  3. Hendrik sagt

    Hallo, kann es sein, dass die Download-Datei kaputt ist?
    Habe es jetzt mehrfach versucht.. jedes Mal ist bei etwa Minute 8 eine Weile Stille.. gerade als ihr auf meinen Douglas-Hinweis zu sprechen kommt 🙂

    Viele Grüße aus der Präfektur Hyogo (Kobe / Osaka) nach Deutschland!

    • Hallo Hendrik,
      es gab da ein Problem in der mp3- und ogg-Datei. Jetzt sollte alles repariert sein und auch die Douglas-Stelle bei 08:00 verständlich sein.

  4. Marvin42 sagt

    Hallo zusammen, wegen den Affen… 🙂
    Würde es nicht bei einer unendlichen Anzahl unserer Verwandten an den Schreibmaschinen nur so lange dauern bis ein Shakespeare fertig wäre, wie ein Affe anschläge pro Minute schafft? Da es ja unendlich viele sind, ist sicher einer dabei, der es aufs erste mal schafft.

    • Wielange ist das Zeitintervall „wie ein Affe Anschläge pro Minute schafft“?
      Aber um die Frage zu beantworten, die du eigentlich stellen willst: wenn das zu produzierende Shakespeare-Stück N Zeichen hat, würde es nicht nur einen sondern unendlich viele Affen geben, die es nach der Zeit N*Δt getippt hätten, wobei Δt die mittlere Zeit pro Anschlag ist, die ein Affe braucht. Anders ausgedrückt, unendlich viele Affen würden das Stück auf Anhieb richtig tippen. Sie würden aber nur einen unendlich kleinen Bruchteil aller Affen ausmachen, so wie die natürlichen Zahlen nur einen unendlich kleinen Bruchteil aller rationalen Zahlen ausmachen und es trotzdem bewiesen werden kann, dass es „gleich viele“ natürliche wie rationale Zahlen gibt.
      Und was das „praktische“ Auffinden der Shakespeare-Stücke in dem ganzen Mist angeht, den die Affen sonst noch tippen, so würde es nicht viel helfen, dass eine ganze Menge Affen schon nach ein paar Stunden echte Shakespeare-Werke reproduziert hätten. Selbst wenn man nur eine Sekunde bräuchte, um ein solches Werk zu identifizieren, würde bei sequentiellem Abschreiten der Ergüsse der Affen mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr als ein Menschenleben vergehen, bevor man eines dieser Werke gefünden hätte.

      • Sorry, da habe ich mich selbst ausgetrickst: Die Affen, die das Shakespeare-Stück auf Anhieb richtig tippen, machen *keinen* unendlich kleinen Bruchteil sondern einen endlichen (aber sehr kleinen) Bruchteil aller Affen aus. Da es nur endlich viele Buchstabenkombinationen von der Länge des Shakespearestückes gibt, muss der Anteil der Affen, die nach der Zeit, die es braucht, ein Stück dieser Länge zu tippen, genau dieses Stück getippt haben, von der Größenordnung eins dividiert durch die Zahl der möglichen Buchstabenkombinationen sein (wenn jeder Buchstabe mit etwa gleicher Häufigkeit getippt wird und „Buchstabe“ auch Satzzeichen und Leerzeichen beinhaltet), eine durchaus endliche Größe.
        Allerdings ist diese endliche Größe kleiner als eins dividiert durch die Zahl der Protonen oder Elektronen in unserem durch den Teilchenhorizont begrenzten Teil des Universums… Also, die Affen würden nicht in ein Universum passen, sondern müssten über alle Paralleluniversen verteilt werden…

  5. Philip sagt

    Hallo Ihr zwei.

    Vielen Dank für eure tollen Podcasts!

    Eine Empfehlung zum Thema Zeitreise und Multiversen: Die Anime Serie „Steins;Gate“ schafft es wirklich toll (und unterhaltsam) irgendwie konsistent über mehrere Staffeln und Filme das Zusammenspiel der Beiden zu Thematisieren. Ein echter Brainteaser.

    • Franzi Konitzer sagt

      Hallo Philip,

      sehr gerne! Und auch danke für die Empfehlung – da muss ich mal gucken, ob ich die Serie irgendwo auftreiben kann.

  6. Manfred Polak sagt

    Moin!

    Ein paar Anmerkungen über den Abschnitt zum Infinite-Monkey-Theorem:

    Die von Karl so genannten antiken Atomtheoretiker (Leukipp, Demokrit, Epikur) werden gemeinhin als „Atomisten“ bezeichnet.

    Der von Karl erwähnte argentinische Schriftsteller (aber eher kein Romanautor) hieß Jorge Luis Borges, nicht Borge. Sein hauptsächliches Metier waren Erzählungen, Essays und Gedichte. Das Werk, das Karl vermutlich meint, ist „Die vollständige Bibliothek“ bzw. „Die totale Bibliothek“ (orig. „La biblioteca total“) von 1939. Das ist Borges‘ Essay zum Thema. Dem folgte dann 1941 die Erzählung „Die Bibliothek von Babel“ („La Biblioteca de Babel“), in der er das Thema weiter ausarbeitet und ins Fantastische weiterspinnt. Genau auf diese Bibliothek von Babel hat, wie dann Franzi erwähnt, ein Hörer namens Henrik hingewiesen, nur merkwürdigerweise unter ihrem engl. Titel.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Bibliothek_von_Babel

    Borges‘ Idee dieser unendlichen Bibliothek war recht einflussreich, z.B. hat sie auch die Klosterbibliothek in Umberto Ecos „Der Name der Rose“ inspiriert.

    • In der Tat habe ich diesen Komplex nur sehr oberflächlich anrecherchiert. Danke für die Präzisierungen!

      Ich finde das ein famoses Beispiel dafür, wie Mathematik und Literatur einander beeinflussen.

  7. Andre sagt

    Wer mal von der Many-Worlds-Theorie das Hirn durchgeknetet bekommen will, kann „Dark Matter“ von Blake Crouch lesen. Der spielt da ziemlich extensiv mit der Theorie.

  8. Als ich den Titel „Unendlich viele Affen tippen Shakespeare“ der neuen AstroGeo-Folge sah, hab ich mich ziemlich gefreut, weil ich ja die Folge zu den „Bösen Doppelgängern“ kommentiert und Wahrscheinlichkeiten der Level-1-Parallelwelten anhand des Beispiels von Affen, die „Romeo und Julia“ tippen, diskutiert hatte. Trotzdem habe ich bis zum Abend gewartet und mir dann den Podcast, wie ich es gewohnt bin, beim Bügeln angehört…

    Ein paar Nitpickings kann ich mir aber nicht verkneifen :-).

    Zunächst habt ihr die Geschichte des Infinite-Monkey-Theorems erzählt und euch auf eine Menge Autoren bezogen, die dazu etwas gesagt haben. Das war alles interessant und ich habe z.B. gelernt, dass Jorge Luis Borges neben „Das Aleph“ noch eine andere Geschichte über die Unendlichkeit geschrieben hat. Aber ihr habt die eigentlich relevante Aussage umschifft, nämlich, dass ihr in der Doppelgängerfolge von einer kleinen Wahrscheinlichkeit der Existenz solcher Doppelgänger (ob böse oder nicht) gesprochen habt, während aus dem Theorem ja folgt, dass bei einem unendlichen Universum, dessen Teilvolumina (von denen unser sichtbares Universum bis zum Horizont eines ist) endlich sind, jedes mögliche dieser Teile auch vorkommt. Die Wahrscheinlichkeit der Existenz exakter Doppelgänger ist also nicht klein, sondern gleich eins; die Wahrscheinlichkeit von bösen Doppelgängern ist, wenn die physikalisch möglich sind (wenn also die Ähnlichkeit z.B. mit Karl Urban die Boshaftigkeit nicht aus physikalischen Gründen ausschließt) ebenfalls eins. Natürlich ist die Wahrscheinlichkeit des Auftauchens — lieber oder böser — Doppelgänger in Paralleluniversen klein, solange man nur „normale“ Zahlen von Paralleluniversen betrachtet, also sagen wir mal „nur“ 10¹⁰⁰⁰. Aber wenn man wirklich eine unendliche Zahl annimmt, dann wird die Wahrscheinlichkeit eins, und dann existiert jeder Doppelgänger nicht nur einmal sondern unendlich oft.

    Das ist in der Sendung nicht gesagt worden. Natürlich kann man es nach der Lektüre des verlinkten Wikipedia-Artikels selber schließen. Aber ich sehe das schon ein bisschen als eine verpasste Chance, in der Sendung auf die bizarre Natur der Unendlichkeit hinzuweisen. In einem unendlichen Universum mit Parallelwelten des Levels 1 kommen tatsächlich alle Doppelgängerwelten (fast sicher, d.i. mit Wahrscheinlichkeit eins) vor (weil natürlich die Quantenmechanik dafür sorgt, dass jedes endliche Teiluniversum nur endlich viele Zustände hat). Ist das nicht absolut „weird“? Und lohnt es sich nicht, das in einer Sendung herauszuarbeiten? (Und dafür ein bisschen weniger Geschichte des Theorems zu erzählen?)

    Nitpicking zur Viele-Welten-Interpretation: Franzi hat da gesagt, dass bei jeder Messung sich das Universum aufspaltet. Das klingt sehr magisch und beinahe so, als wären Messungen irgendwie außerphysikalisch, weil sie nämlich zur Vervielfältigung von Universen führen. Dabei versuchen diese alternativen Interpretationen der Quantenmechanik ja gerade, die Sonderrolle zu eliminieren, die Messungen in der Kopenhagen-Interpretation haben. Man kann sich anhand der schrödingerschen Katze leicht klarmachen, dass die Aussage der Viele-Welten-Interpretation eine andere ist. Die Aufspaltung in „zwei“ Parallelwelten passiert nicht erst beim Öffnen der Kiste. Die Wellenfunktion des Systems ist praktisch von Beginn des Experiments an (genauer: von dem Moment an, wo die Zerfallswahrscheinlichkeit des Atoms ungleich null ist) in einer Superposition aus den Zuständen mit einem zerfallenen Atom/einer toten Katze und einem nicht zerfallenen Atom/einer lebendigen Katze. Die eigentliche Messung, das heißt, das Öffnen der Kiste, bewirkt physikalisch nichts Besonderes; alles was passiert, ist, dass der Experementator sich bewusst wird, in welcher der beiden durch die Teilwellenfunktionen der Superposition beschriebenen Welten er selbst sich befindet.

    Darüber hinaus kann man feststellen, dass die Aufspaltung der Welten ein kontinuierlicher Prozess ist, denn die Zeitentwicklung der Schrödingergleichung impliziert ja, dass der Koeffizient jedes der beiden Zweige der Wellenfunktion sich verändert, was Veränderung von deren Wahrscheinlichkeiten bedeutet und damit der Zahl der Welten, die jeder Zweig repräsentiert. Zur Veranschaulichung können wir die Wellenfunktion nach einer Stunde betrachten (da ist das Atom mit 50%iger Wahrscheinlichkeit zerfallen). In einer der Welten lebt die Katze noch, in einer Welt ist sie gerade gestorben, in einer weiteren vor einer Minute, in der nächsten vor zwei Minuten, usw. Der Zweig der Wellenfunktion „Katze lebt“ repräsentiert die Hälfte der Welten, der Zweig „Katze tot“ in der Veranschaulichung ca. 60 Welten, in denen die Katze jeweils nach Minute 1, 2, 3,… 60 gestorben ist. Natürlich kann man das Zeitintervall kürzer als eine Minute machen und damit mehr Welten mit toten Katzen erzeugen. Und auch der Zweig mit der lebendigen Katze beschreibt im Prinzip viele Welten, in einer hat die Katze nach einer Minute die linke Pfote gehoben, in der nächsten nach zwei Minuten, etc. In der Viele-Welten-Interpretation ist die eigentliche Realität die unheimlich komplexe Wellenfunktion des Universums und die Parallelwelten sind Interpretationen der vielen Zweige, aus denen diese besteht und die sich immer weiter verästeln. Wozu aber keine Messungen nötig sind.

    Was mir ein bisschen aufgestoßen hat, ist Franzis Antwort auf die Frage, ob die Parallelwelten der Viele-Welten-Interpretation nicht das Großvater-Problem bei einer Zeitreise lösen könnte. Sie hat da abgehoben auf die bisher nicht stattgefundene Vereinheitlichung von Quantenmechanik und allgemeiner Relativitätstheorie. Mit Logik hat diese Antwort wenig zu tun. Wieso sollte man eine solche Vereinheitlichung für diesen Zweck brauchen, wenn vor 50 Jahren auch ohne sie Vorhersagen zu einem Problem getroffen werden konnten, wo man ihre Notwendigkeit viel eher erwarten sollte, nämlich der Aussendung von Hawking-Strahlung durch schwarze Löcher? (Und das Analogon zu Hawking-Strahlung ist experimentell an akustischen schwarzen Löchern gefunden worden…)

    Die richtige Antwort (aus meiner Sicht) wäre gewesen, dass die Parallelwelten der Viele-Welten-Interpretation natürlich eine logische Möglichkeit von Zeitreisen ohne Paradoxa eröffnen, wenn man nämlich annimmt, dass eine Reise in die Vergangenheit zu einer Verzweigung der universellen Wellenfunktion am Zielzeitpunkt der Reise führt — in eine Welt mit dem Zeitreisenden und eine ohne. Dann kommt der Zeitreisende automatisch in einer Parallelwelt an, die vor dem Zeitpunkt seiner Ankunft mit seiner eigenen Welt identisch war, es danach aber nicht mehr ist. Er hat dort alle Freiheiten, auch die, seinen Großvater (z.B. mütterlicherseits) zu töten. Wenn er dann wieder in die Zukunft reist, kommt er natürlich nicht in die Welt zurück, aus der er kam, sondern in eine Welt, in der weder seine Mutter noch er selbst geboren wurden. Voraussetzung dieser Überlegungen ist, dass diese Level-2-Parallelwelten als real angesehen werden. Sieht man sie nicht als real an, sondern bloß als Möglichkeiten, von denen nur eine, die der Ausgangswelt des Zeitreisenden, real ist, dann bieten sie eher keine Hilfe bei der Vemeidung des Paradoxons. Das wäre aber wider den „Spirit“ der Interpretation.

    Und auch zu Multiversum und Co. habe ich ein Nitpicking. Dort lief die Diskussion von Inflation, ewiger Inflation und Multiversum ein bisschen darauf hinaus, dass das alles im Wesentlichen spekulative Ansätze ohne experimentelle Basis sind. Nun ist es natürlich in der Kosmologie so, dass der Königsweg des Testens physikalischer Theorien (und der Aussonderung konkurrierender Theorien), nämlich das Entwerfen und die Durchführung eines Experiments, für den die Theorie ein spezifisches Ergebnis vorhersagt (und die konkurrierenden Theorien ein davon abweichendes), in der Regel nicht zur Verfügung steht.

    Man kann keine kontrollierten Experimente mit Sonnen und Galaxien machen. Aber es gibt viele Objekte und Phänomene, die man mit verschiedenen Mitteln beobachten kann, und das liefert ebenfalls empirische Daten, die zur Überprüfung einer Theorie geeignet sind. Meine erste Kosmologie-Vorlesung habe ich 1997 gehalten. Damals war die beschleunigte Ausdehnung des Universums noch nicht entdeckt, und Hubert Goenner konnte in seiner „Einführung in die Kosmologie“ (1994) schreiben: „Kosmologie ist eines der empirisch am schwächsten kontrollierten Gebiete der Physik, in dem gesichertes Wissen und die Luftschlösser phantasievoller Extrapolation physikalischer Theorien dicht nebeneinander zu finden sind.“ Das hat sich seither doch etwas geändert. Während die Hubble-Konstante 1994 noch innerhalb eines Faktors 2,5 unbestimmt war (H_0=h*100 km/(s Mpc), mit 0,4<h<1), lag die Messgenauigkeit bei der Planck-Mission 2018 im Einprozentbereich. Die Kosmologie-Vorlesung war von meinen physikalischen Vorlesungen die einzige, bei der ich den Inhalt laufend an die aktuelle Forschung anpassen musste. (Bei den Grundvorlesungen gibt es kanonische Inhalte, die seit Jahrzehnten gleich geblieben sind. Alte Erfolge der Physik behalten aktuelle Relevanz.)

    Worauf ich hinauswill ist, dass von den drei oben genannten Themen die Inflation ein theoretisches Paradigma darstellt, das durchaus empirische Unterstützung findet. Das Spektrum der Temperaturfluktuationen im Mikrowellenhintergrund hat relativ viel Struktur, und dieser sehr spezifische Verlauf (fünf bis sechs Oszillationen bis zur Mode mit l=2000) wird sehr gut von der sogenannten neuen Inflation reproduziert (mit einer Zwei-Parameter-Theorie!). Das sieht man im Bild 1 des Artikels "Eternal inflation and its implications" von Alan Guth im J. Phys. A, Math. Theor. 40, 6811 (2007), wo auch gezeigt wird, dass diverse konkurrierende Theorien ganz andere Spektren liefern, die weit von dem gemessenen abweichen. Diese sehr spezifische korrekte Vorhersage vieler Daten aus wenigen Grundannahmen gibt der Inflation schon den Status einer relativ starken Theorie, die etwas mehr leistet als die Lösung des Monopolproblems, wofür sie entwickelt wurde, sowie des Horizont- und Flachheitsproblems. Natürlich schließt das noch lange nicht aus, dass es Theorien ohne Inflation gibt, die dasselbe ebesogut (oder besser) erklären, und es gibt einige Wissenschaftler, die das tatsächlich glauben.

    Bei der ewigen Inflation sieht die empirische Basis viel schlechter aus bzw. ist gar nicht vorhanden, denn natürlich kann man den vielleicht weiter der Inflation unterworfenen Raum außerhalb unseres Universums nicht beobachten. Und mit der "mathematischen Notwendigkeit" der ewigen Inflation ist es nicht so weit her. Zweifellos kann man beweisen, dass Inflationsmodelle des Typs, die man gegenwärtig als gute Kandidaten für die Erklärung des Anfangs unseres Universums ansieht, "generisch" zu ewiger Inflation führen. Aber was heißt das denn? Die Modelle hängen von (kontinuierlich variierbaren) Parametern ab und die Menge von Parameterkombinationen, die zu ewiger Inflation führen, hat ein hohes Wahrscheinlichkeitsmaß, etwa eins. Sabine Hossenfelder würde hier einwenden, dass man ja gar keine physikalisch begründete zugrundeliegende Wahrscheinlichkeitsdichte hat. Zur Behauptung der Generizität nimmt man typischerweise Gleichverteilung der Parameter an (wenn man gar nichts über ihre physikalische Selektion weiß) oder eine Gaussverteilung (wenn man Informationen hat, die erlauben, einen bestimmten wahrscheinlichsten Wert anzunehmen). Tatsächlich könnte aber (unbekannte) Physik ganz andere Einschränkungen der Parameter fordern, bis hin zur Reduzierung auf einen diskreten Satz. Also steht die ewige Inflation auf sehr viel wackligeren Beinen als die Inflation selbst.

    Noch spekulativer ist das Multiversum. Denn natürlich muss es, wenn man die ewige Inflation als stattfindend ansieht, durchaus weitere Universen neben dem unseren geben. Aber die vom Unvermögen der Stringtheorie, Naturkonstanten mit festen Werten zu versehen, gespeiste Idee, dass alle diese Universen verschiedenen effektiven Naturgesetzen gehorchen, kann völlig falsch liegen. Vielleicht können diese Naturkonstanten tatsächlich nur die Werte haben, die wir kennen, und wir haben nur noch nicht die richtige "theory of everything" gefunden, die diese Werte erklärt. Dass die Stringtheorie es nicht schafft, heißt ja noch lange nicht, dass es keine bessere Theorie gibt, aus der sie doch noch abgeleitet werden könnten. Wenn das so wäre, dann würde das Multiversum sich auf einen Satz von Level-1-Paralleluniversen reduzieren, falls die ewige Inflation tatsächlich existiert

    Zusammengefasst denke ich also, dass man diese drei Konzepte Inflation, ewige Inflation und Multiversum nicht auf einer Stufe sehen sollte. Die Inflation ist ein seriöses theoretisches Szenario und hat als physikalische Theorie schon einigen Falsifizierungsversuchen widerstanden, indem sie erfolgreich recht spezifische Vorhersagen gemacht hat. Sie macht weitere Vorhersagen, z.B. über Gravitationswellen aus der Frühzeit des Universums, nach deren Verifikation man noch sucht. Damit sind zusätzliche Tests zur Bestätigung oder Verwerfung des Szenarios möglich und man darf auf die Ergebnisse gespannt sein. Die ewige Inflation ist eine Spekulation, die nicht den Rang einer Theorie hat, weil sie dazu falsifizierbare Vorhersagen machen müsste, was schwierig wenn nicht unmöglich ist. Sie ist bestenfalls eine philosophische Metatheorie. Das gilt auch für das Multiversum, dessen Level-3-Charakter noch spekulativer ist, weil er auf einer Theorie aufbaut, die selbst wenig bis keine nachprüfbaren quantitativen Vorhersagen macht, der man also ebenfalls den Status einer physikalischen Theorie absprechen könnte.

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